Soviel ist mal klar: Sie beginnt zu nerven, die Abhängigkeit von den Tech-Konzernen und ihren Online-Angeboten. Und zwar nicht nur uns, sondern auch zunehmend andere Menschen. Seit Jahren geistern Berichte durchs Netz über die Rückkehr der Klapphandys, die Sehnsucht nach Offline-Zeit (JOMO statt FOMO) und die Wiederentdeckung alter Technik wie etwa der MiniDisc. Selbst der SPIEGEL produziert ein Sonderheft darüber – was bösen Zungen zufolge freilich bedeuten kann, dass der Trend spätestens jetzt vorbei ist.
Tatsache aber ist: Die Zahlen sprechen insbesondere in Bezug auf Musik eine eindeutige Sprache. So ging die Zahl der digitalen Downloads in den letzten Jahren zurück, das totgeglaubte Format der CD hingegen erlebte einen deutlichen Zuwachs. Zeit also, sich einmal einem anderen Format zuzuwenden, das nach wie vor Freunde und Freundinnen hat und sich ebenfalls dazu eignet, Apple Music, Spotify und Derer den Rücken zuzuwenden. Die Schwäche der Blauen Maschine für alte Technik dürfte hinlänglich bekannt sein. Alte Objektive, analoger Film, hochgezüchtete iPods – wir sind dabei. Die MiniDisc passt da gut ins Bild. Eine Übersicht über andere, noch weites skurrilere Formate gibt es übrigens beim 8-Bit-Guy auf YouTube.
Inhalt
Ein portabler MD-Player von Sony, der zudem aufnimmt. Reicht völlig.
Mini-Disc: Die Geschichte
Die Geschichte des Formats kann überall nachgelesen werden, darum an dieser Stelle nur in aller Kürze: Auf den Markt kam die MiniDisc (MD) Anfang der neunziger Jahre, entwickelt von Sony, unter anderem als mögliches Konkurrenzprodukt zur DCC, der „Digitalen Compact Cassette“, die nahezu zeitgleich von Philips entwickelt wurde. Die Disks ermöglichten zunächst 60, später dann 74 und 80 Minuten Aufnahmezeit pro Disc, eines spätere Formatweiterentwicklung ermöglichte eine Verdoppelung des Kapazität (was teilweise mit Qualitätseinbussen erkauft wurde). Die letzte Iteration schließlich fasste als Hi-MD sogar 1 Gigabyte an Daten. Das Format überlebte 20 Jahre, im Jahr 2011 stellte Sony die Produktion der Geräte ein- Nicht jedoch die Produktion der Discs selber, die werden bis zum heutigen Tag produziert, was unter anderem am der enormen Verbreitung des Formats in Japan liegt, während sich die MD in Europa kaum und in Amerika nahezu gar nicht durchsetzte.
Eine MiniDisc samt Hülle. Bitte keine Kommentare zur Musikauswahl.
Die MiniDisc steht damit am Ende der Geschichte der Speicherung von Musik auf analogen – im Sinne von anfassbaren – Medien. Begonnen hat sie mit der Schallplatte, es folgte die Kassette, die CD und die Minidisk, eher nach dem Zwischenschritt des digitalen Downloads die jetzige Iteration erreicht wurde – die Streaming-Dienste und Online-Services. Zwar bieten auch sie natürlich, das entsprechende Abo-Modell vorausgesetzt, einen Download an. Hier endet der Zugriff in der Regel spätestens dann, wenn das Abo gekündigt wurde. Denn dann greift, wie im Fall von Apple, das Digital Rights Management und verhindert einen weiteren Zugriff auf heruntergeladene Titel. Aus Sicht der Urheber – und auch aus unserer Sicht – ist das richtig.
Besitz oder Verfügbarkeit
Aber es zeigt auch: Die Musik der Streamer ist letztlich nur gemietet und gehört dem Nutzer bzw, der Nutzerin nicht. Oder, wie Mary Spender es sagt. Wir haben Besitz gegen Verfügbarkeit eingetauscht. Wir können auf Millionen von Titel zugreifen, sie gehören uns jedoch nicht, und der Zugriff kann uns jederzeit entzogen werden – wie vor kurzem bei Deezer geschehen: Hier wurden etwa 25 Millionen Titel aus dem Bestand gelöscht. Einfach so. Was das beuteten kann, ist nachvollziehbar für all’ jene, die plötzliche keinen Zugriff mehr auf die Lieblingsserie bei Netflix hatten, Abo hin und her.
Mary Spender stellt eine ganze Reihe weiterer Argumenten zusammen, die die Begeisterung für Online-Dienste durchaus schmälern. Begonnen von der Abhängigkeit von einem Algorithmus, der angeblich genau das spielt, was man hören möchte bis hin zur regelmäßigen, meist klaglos hingenommenen Preiserhöhung für die angebotenen Services. Ganz abgesehen natürlich von der Frage, wieviel von diesen Geldern dann tatsächlich bei den Künstlern angekommen. Spenders Rechnung, nebenbei bemerkt: Um den Ertrag zu erwirtschaften, den man mit 30 selbstkopierten Tapes (bei einem Stückpreis von 10 US-Dollar) erzielt, müssten man auf Spotify 88.000 Downloads erreichen. Nicht umsonst also veröffentlichen nach wie vor Bands ihre Musik auch auf Minidisc.
Hören, was einem gehört
Und schließlich ist da die Frage des idealen Wertes von Musik an sich. Ist sie ein beiläufiges Produkt, das beiläufig gehört und deren Verschwinden (weil aus dem Katalog gefallen oder weil Abo ausgelaufen) ebenso beiläufig hingenommen wird? Oder misst man dem Produkt einen Wert an sich bei, der auch durch einen entsprechenden Umgang damit gekennzeichnet ist?
Wir wollen nun nicht in das Wehklagen über den Verlust schöner, großer LP-Cover und fehlende Linernotes einstimmen. Aber es stimmt: Musik (bzw. Musikträger) die man anfassen, ansehen, drehen, wenden und ins Regal stellen kann, hat einen anderen Wert als eine über WLAN übertragene Ansammlung von Nullen und Einsen. Und schließlich: Der Besitz eines physischen Mediums ermöglicht auch einen anderen Umgang damit: Es kann verliehen und geteilt werden und ermöglicht damit eine Beziehung über Musik, die durch das Teilen einer Playlist (Haben SIE das schon mal gemacht?) wohl kaum erreicht werden kann – auch deswegen, weil das Zusammenstellen eines Mixtapes mit weitaus mehr Arbeit verbunden ist als mit dem bloßen Zusammenklicken auf einem Bildschirm. Von der Beschriftung und Gestaltung der Cover ganz zu schweigen.
MiniDisc - Vor- und Nachteile
Zugegeben: Die Minidisc ist nur ein Medium unter mehreren, scheint aber in der Summe die meisten Vorteile zu haben:
- Klein und portabel
Wiederbeschreibbar ohne Qualitätsverlust
Verhältnismäßig günstig
Es gibt einen großen Gebrauchtmarkt
Die Medien werden nach wie vor produziert
Man ist unabhängig von Online-Diensten
Die Soundqualität im Vergleich zu Mp3 ist besser.
Aber ehe wir in Nostalgie abdriften, es gibt auch handfeste Nachteile:
- Ein zusätzliches Gerät mit entsprechenden Medien und Stromversorgung
Zeitaufwändiges „Befüllen“ der Medien
Redundanzen im Bestand, wenn von eigenen CDs aufgenommen wird
Teils umständlich in der Handhabe
Kann teuer werden
In der Summe aber bleibt, ähnlich zur analogen Fotografie: Musik gewinnt auf diesem Wege einen neuen Wert – wegen des bewussteren Umgangs damit, und weil einem das, was man hört, in der Regel auch gehört.
Mit einem Deck tut man sich in vielem leichter.
Mini-Disc: Ein paar Tipps zum Start
Vorneweg die Warnung: Auch dieses Format kann sich zum Kaninchenloch entwickeln. Schließlich listet MiniDisc-Wiki über 2.000 unterschiedliche Geräte auf, in unterschiedlichen Designs und mit unterschiedichsten Features. Nicht wenige sind mittlerweile Sammlerstücke, für die entsprechende Preise aufgerufen werden. Zum Start empfiehlt sich darum ein portabler Minidisc-Player, der über eine Aufnahmefunktion (möglichst über Optical-In) verfügen sollte. Ggf. muss noch ein entsprechender Akku dazu gekauft werden; die Original-Akkus sind mittlerweile in der Regel unbrauchbar. Dann braucht es noch eine Handvoll MDs – und das war es auch schon an Hardware.
Spätestens dann, wenn man beginnt, die gerade aufgenommene Disk nicht nur zu beschriften, sondern auch die Title einzugeben, wird man sich allerdings einen bequemeren Weg wünschen. Die Nutzung eines Net-MD-Recorders ist dabei eine Möglichkeit; hier können die Daten ähnlich wie bei einem Mp3-Player via USB überspielt und auch betitelt werden. Eine günstigere Alternative kann ein MD-Deck sein, das oftmals bequemere Möglichkeiten zum Editieren bietet. Und spätestens, wenn man „All I want to do is making love to you“ am portablen Player eingegeben hat, wird man die MD verfluchen. Ob man dann zur Kassette oder gar zur LP zurückkehrt, ist freilich eine andere Geschichte, die ein andermal diskutiert werden soll.
Preise und Verfügbarkeit
Da reicht ein Blick auf ein beliebiges Kleinanzeigenportal. Der Weg in den Kaninchenbau der MD kann teuer sein, wenn man auf gehypte Geräte herinfällt. Tatsächlich aber ist man mit etwa 50,- € dabei, wenn es um einen kleinen, tragbaren Recorder geht, der dann aber auch tatsächlich aufnehmen sollte, idealerweise mit optischem Eingang. Kurioserweise sind die Decks im Verhältnis deutlich günstiger als die tragbaren Geräte, haben aber auch weniger Charme.
Die Medien kosten zwischen 2,- und 10,-€ pro Stück je nach Phantasie und Wahnvorstellung der Anbieter. Hier sei noch ein letzter Reiz des Formats erwähnt: Fremdbespielte MDs zu kaufen und dadurch möglicherweise neue Musik zu entdecken, ist mindestens so reizvoll wie die Vorschläge der Streamer und ihres Algorhytmus.